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Rußland – hier bahnt sich ein ernsthaftes Problem an

Das größte Land der Welt (13 Zeitzonen von Kamtschatka bis Kaliningrad) steht unter Schock; innerhalb von sechs Monaten verlor der russische Rubel gegenüber Euro, US-Dollar, britischem Pfund und Schweizer Franken zwischen 45% und 60% seines Wertes. Dies betrifft vor allem den ärmsten Teil der Bevölkerung, betagte Rentner, die zum Teil von Altersrenten von monatlich 150 € und weniger (über)leben sollen, sowie Klein(st)gewerbetreibende – nachgerade, wenn sie auf den Import von Waren aus dem Westen (Polen, die baltischen Länder, Skandinavien, Deutschland, Holland, die Türkei und Griechenland) angewiesen sind. Letzteres betrifft vor allem die russische Exklave Kaliningrad (das frühere Königsberg, Ostpreußen), das zwischen Litauen und Polen (beides EU-Länder) eingezwängt an der Ostsee liegt und deshalb in hohem Maße von Importen (insbesondere Lebensmittel) aus dem „Westen“ abhängig ist.

Da Rußland zu über 70% seines Staatshaushaltes aus Förderung, Handel und Export von Erdgas und -öl angewiesen ist, schlägt der vom Westen bewußt niedrig gehaltene Öl- und Gaspreis fatal auf den russischen Staatshaushalt durch. Da auch die verbleibenden Exportgüter – Buntmetalle, strategische Metalle und Edelmetalle sowie, in geringen Mengen, Primärenergieträger (Kohle und Holz) – ebenfalls seit nun fast zwei Jahren erhebliche Preisrückgänge verzeichnen, fehlen im russischen Haushalt für 2014 etwa 40 Milliarden US-Dollar, für 2015 wird sogar mit einem Minus von 100 Milliarden US-Dollar gerechnet.
Hierbei arbeitet die OPEC auf Geheiß und in Übereinstimmung mit den USA, deren Shale-Oil-Fracking auch längst unter die Rentabilitätsgrenzen gerutscht ist, in engem Schulterschluß zusammen. Offiziell will man damit Rußland für seine Rolle in der Ukraine-Krise abstrafen und in die Knie zwingen.
Bei Licht betrachtet handelt es sich hierbei um ein einerseits verlogenes, andererseits reichlich dummes und gefährliches ‚Spiel mit dem Feuer‘; verlogen insofern, als das beständige Ausweiten der NATO nach Osten – seit 1989 (Mauerfall) um 14 Länder (demnächst 17) den russischen „Bären“ nunmehr geradezu logischerweise zum Handeln zwang. Diese strategische Einkreisung Rußlands führt auch innenpolitisch – auf wirtschaftlicher, vor allem aber auf militärischer Ebene – zu einem rasant wachsenden Druck auf Wladimir Putin.
Hinzu kommt, daß Putin auf der Krim nicht nur vertraglich vereinbarte territoriale Pachtverhältnisse verteidigt, sondern auch Leben und Existenz von Hunderttausenden von Russen (und russischen Tataren), die dort zum Teil seit Generationen leben.
Man überlege nur, was geschähe, wenn sich die mexikanische Regierung entschlösse, Bündnisverträge mit Rußland oder China einzugehen; binnen 24 Stunden würde wohl eine halbe Million US-Soldaten im Süden Kaliforniens und an der texanischen Grenze zusammengezogen, um das Leben und die Interessen von Millionen US-Bürgern zu schützen, die im südlichen Nachbarland der USA leben und wirtschaftlich tätig sind.
Rußland schiebt man die Schuld für die Ukraine-Krise in die Schuhe, daß aber private US-Truppen (‚Blackwater‘) und ‚Berater‘ bereits seit 2005 im Westen der Ukraine stationiert und tätig sind, habe ich zumindest noch in keinem westlichen Medium gelesen oder gehört.

Dumm ist das belligeristische Verhalten des Westens insofern, als sich die „Strategen“ der NATO (nicht nur, aber vor allem Washington) entweder überhaupt nicht realisieren, welche Gefahr für den Weltfrieden sie hierdurch heraufbeschwören oder sie diese Gefahren bewußt eingehen – hierbei könnte man von geradezu krimineller Dummheit sprechen.
Putin ist nämlich derzeit wohl der einzige Russe, der in der Lage ist, das eurasische Riesenreich zusammenzuhalten – nicht zuletzt durch sein intrinsisches Informationsnetz (als ehemaliger FSB-Chef) und klare Abmachungen, die er sowohl mit den Oligarchen als auch mit den Militärs getroffen hat. Eben diese klaren Regeln, die Putin auch unnachgiebig durchsetzt, verhindern bislang, daß die Rivalitäten und eifersüchtigen Intrigen, die sowohl unter den Militärs als auch unter den Oligarchen herrschen, zu einer völligen Zersplitterung des Sozial- und Wirtschaftsgefüges Rußlands führten.
Wird nun die Position Putins aufgrund der wachsenden Probleme in seinem Herrschaftsbereich, ausgelöst durch die o.g. Verlogenheit und Dummheit des Westens, nachhaltig geschwächt, und Putin unter Umständen sogar zu einem Rücktritt gezwungen, würde dieses höchst fragile System wohl binnen kürzester Zeit implodieren und zersplittern – mit unabsehbaren Folgen nicht nur in Rußland selbst, sondern auch in den angrenzenden Ländern sowie auf den internationalen Finanzmärkten, denn Rußlands Auslandsguthaben liegen bei etwa 400 Milliarden US-Dollar und westliche Banken sind mit etwa 200 Milliarden US-Dollar in Rußland und seiner Wirtschaft involviert.

In Rußland selbst spielen sich gespenstische Szenen ab: Ganze Sortimentreihen sind schlagartig aus den Kaufhäusern verschwunden; vor Billigketten und Ramschläden bilden sich lange Schlangen; der Kurs für den Euro schwankt (von Bank zu Bank verschieden) zwischen 120 : 1 und 80 : 1, wobei der Wechselkurs buchstäblich minütlich Veränderungen erfährt. Die Hälfte der Klein(st)betriebe hat erst mal den Betrieb eingestellt; man wartet wohl ab, wie sich die Verhältnisse in den nächsten Tagen entwickeln werden. Hunderte haben bereits ganz aufgegeben; sogar die Selbstmordraten steigen bereits. Offizielle Stellen, Behörden und Ämter erhielten Eildepeschen mit klaren Anweisungen, vor einem striktem Auskunftsverbot zu allem, was die politische Lage anbelangt; alle mit der inneren Sicherheit des Landes befaßten Dienste und Behörden wurden in Alarmbereitschaft versetzt, und ein besonderes Augenmerk gilt den wenigen noch verbliebenen (teil)unabhängigen Medien.

Leider geht man in der Öffentlichkeit und den Medien NATO-Europas und den USA zu ignorant und mit völlig einseitiger Schuldzuweisung gegenüber Rußland bezüglich der sich zuspitzenden Krise in der Ukraine um. Als ‚Putin-Versteher‘ wird jeder diffamiert, der sich um eine ausgewogene, beider Seiten Interesse und Situationen berücksichtigenden Weise bemüht. Wohl mangelndem Intellekt geschuldet setzt man dabei Putin-Versteher‘ mit Putin-Anhänger‘ synonym, wobei letztere dann natürlich automatisch Gegner und Feinde des Westens, Europas und der USA sind. Es geht eben nichts über ein einfaches Weltbild!

Schon im alten Rom galt der juristische Grundsatz ‚audiator et altera pars[1] 1, aber davon wollen westliche Ignoranz, Agnoranz und Arroganz – nachgerade in den offiziell gesteuerten, beileibe nicht meinungsfreien Medien – natürlich nichts wissen.
Dieser offensichtliche Mangel an Bereitschaft, in bemühtem Verständnis um Zusammenhänge und Hintergründe aufeinander zuzugehen, stellt keine sonderlich Mut machende Basis für das gerade so feierlich-beschworene Jahresend-Fest (vulgo: ‚Weihnachten‘) dar.
Vielleicht sollten wir unsere Politiker sowie alle die „Heilsbotschaft“ so innig kündenden Journalisten mal nachhaltig darauf hinweisen, daß die Bevölkerung mehr von ihren Politikern und Medien erwartet als laue Weihnachtsansprachen einer Pfarrerstochter und eines ausrangierten evangelischen „Geist“lichen.

Ich wünsche allen Zeitgenossen in West und Ost, Nord und Süd ein paar Minuten ruhigen Nachdenkens in den vor uns liegenden letzten Tagen dieses Jahres und ein möglichst friedliches nächstes Jahr – getragen von der Bereitschaft, sich den Standpunkten des jeweils Anderen mit Interesse und Neugier zu nähern; Grundlage dessen, was wir Verständnis und Vertrauen nennen.

Hans-Wolff Graf


[1] Lat.: Auch die andere Seite muß gehört werden.