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Weltgericht – Offener Brief von Dr. Jürgen Todenhöfer

Wie gerecht muß ein Weltgericht sein?

Ein offener Brief von Dr. Jürgen Todenhöfer an den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes: (Der Autor ist Manager, war 18 Jahre lang CDU-Bundestagsabgeordneter. Er veröffentlichte zuletzt das Buch „Warum tötest du, Zaid?“)


Sehr geehrter Herr Moreno Ocampo,

wie viele, denen die universelle Geltung der Menschenrechte wichtig ist, begrüße ich, dass Sie das Verhalten des sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al Baschir juristisch überprüfen lassen wollen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen nicht ungesühnt bleiben. Dass der Täter amtierendes Staatsoberhaupt ist, darf, wie Sie richtig festgestellt haben, keine Rolle spielen. Wenn Sie Beweise haben, müssen Sie Anklage erheben. Als früherer Richter erlaube ich mir jedoch die Frage, warum Sie nicht mit derselben Härte und Gerechtigkeit gegen die Verantwortlichen des Irakkrieges – also etwa gegen den US-Präsidenten George W. Bush oder den britischen Ex-Premierminister Tony Blair – vorgehen?

Der mit Unwahrheiten begründete Irakkrieg war laut damaligem UN-Generalsekretär Kofi Annan „illegal”, also völkerrechtswidrig. Für jeden war erkennbar, dass kein Verteidigungsfall vorlag. Einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates gab es nicht. Auch das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat den Irakkrieg daher 2005 als völkerrechtswidrig eingestuft.

In diesem Angriffskrieg starben bis 2006 nach Angaben der unabhängigen amerikanisch-irakischen „Lancet-Studie” 600.000 zivile Opfer – ein Großteil von ihnen getötet durch US-Truppen. Das ebenfalls unabhängige britische Institut ORB ermittelte 2008, dass bis heute über eine Million Menschen ums Leben kamen. Eine Million wurde verletzt, fast fünf Millionen sind auf der Flucht. Ihr Leid und ihr Tod dürfen nicht ungesühnt bleiben.

Der Internationale Strafgerichtshof muss sich daher der Frage stellen, ob er ein Weltgericht sein will, dessen Gesetze für alle gelten, oder nur ein Strafgericht des Westens gegen Nicht-Westler – ein Gericht der Mächtigeren gegen die Schwächeren. Daß bisher nur Politiker kleinerer Länder angeklagt wurden, stimmt nachdenklich.

Rein formal könnten Sie darauf verweisen, daß die USA, anders als Großbritannien, das Gesetz über den Internationalen Strafgerichtshof nie ratifiziert haben, und eine Anklage gegen den US-Präsidenten deshalb ausscheide. Dann könnten Sie allerdings auch den sudanesischen Staatspräsidenten nicht anklagen, da dessen Land den Internationalen Strafgerichtshof ebenfalls nicht anerkennt.

In der Urteilsbegründung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals heißt es: Die Entfesselung eines Angriffskriegs ist das größte internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, daß es in sich alle Schrecken vereinigt und anhäuft.

Der amerikanische Chefankläger Robert Jackson – Ihr Vorgänger gewissermaßen – formulierte damals:   [….]


Vor 10 Jahren, am 17. Juli 1998, wurde in Rom das Statut des Internationalen Strafgerichthofes (IStGH) verabschiedet.

Internationaler Strafgerichtshof und die Position der USA

Neben den USA lehnen auch bevölkerungsreiche Staaten wie China, Rußland oder Indien eine Ratifikation des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes (Statute for the International Criminal Court, im Folgenden daher: ICC-Statut[1]) bislang ab.[2] Zwar haben sich mehr als die Hälfte aller Staaten an der Ausarbeitung des völkerrechtlichen Vertrages über die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs beteiligt.[3] Insgesamt repräsentieren die Staaten, welche das Statut heute ratifiziert haben, aber weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Nichtsdestotrotz konzentriert sich die Kritik der ICC-Befürworter fast gänzlich auf die USA. Die besondere Bedeutung der USA für das Projekt der Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes erklärt sich aus zwei Gründen:

Erstens sind die USA als eines der fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit einem Vetorecht ausgestattet, womit ihnen eine zentrale Rolle in der bestehenden internationalen Sicherheitsarchitektur zukommt. Der neu geschaffene ICC soll sich institutionell in diese bestehende Architektur einfügen und ist damit für seine Funktionsfähigkeit auf die grundsätzliche Unterstützung ihrer zentralen Akteure angewiesen.[4]

Zweitens wird es für die praktische Ermittlungstätigkeit und Beweiserbringung des ICC entscheidend darauf ankommen, ob die USA an dieser Arbeit mitwirken.[5] Die Erfahrungen mit Tribunalen wie dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, daher im Folgenden: ICTY) zeigen, daß die gerichtliche Beweisführung gegen Befehlsverantwortliche für Makroverbrechen regelmäßig von einem hohen nachrichtendienstlichen Aufwand abhängig ist.[6] Der Mitwirkung der USA und der Einsatz ihrer weltweiten militärischen und geheimdienstlichen Infrastruktur ist hier von hoher Bedeutung. Auch für die Festnahme von Verdächtigen und ihre Überstellung an den ICC wird es nach Ansicht vieler Beobachter auf die USA und ihre weltweite militärische Präsenz und ökonomischen Sanktionsmöglichkeiten ankommen.[7] Ein Blick auf die Erfahrungen mit dem ICTY unterstreicht dies. Das Auslieferungsgesetz, welches Jugoslawien im Frühjahr 2002 erließ, kam nur aufgrund massiven wirtschaftlichen Drucks seitens der USA zustande.[8] Im Juni 2006 waren es abermals die USA, die gegenüber Serbien ihrer Forderung nach vollständiger Zusammenarbeit mit dem ICTY sowie Überstellung mutmaßlicher Kriegsverbrecher mittels ökonomischer Sanktionen Nachdruck verliehen konnten.[9] Rußland, Indien oder China spielen hier keine vergleichbare Rolle.

Für einen effektiven ICC wird es also auf die politische Unterstützung der USA ankommen, im UN-Sicherheitsrat ebenso wie bei der praktischen Ermittlungstätigkeit. Damit ist die Haltung der USA gegenüber dem Projekt ICC von besonderem Interesse.

Die nun folgende Betrachtung der Entstehungsgeschichte des ICC-Statuts soll daher besonders die Position der USA beleuchten. Es soll verfolgt werden, wie sich die Position der USA gegenüber dem Projekt eines internationalen Strafgerichtshofs in der Zeit zwischen 1945 und 1998 gewandelt hat.
Es wird zu zeigen sein, daß sich die Position der USA gegenüber der Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs im untersuchten Zeitraum viermal grundlegend geändert hat – zum ersten Mal mit Beginn des „Kalten Krieges” um das Jahr 1950; danach mit der Verschärfung der weltpolitischen Lage in den 1960er Jahren; sodann mit dem Ende des “Kalten Krieges” und innenpolitischen Veränderungen in den USA zu Beginn der 1990er Jahre; und zuletzt kurz vor der Konferenz in Rom im Sommer 1998.

Dabei soll der Frage nachgegangen werden, welche weltpolitischen Hintergründe jeweils eine Rolle spielten. Der Stand der rechtlichen Diskussion soll jeweils exemplarisch anhand einzelner Debatten dargestellt werden.

Rechtsanwalt Unternehmensnachfolge

[1] Abgedruckt u.a. in: Bassiouni, The Statute of the International Criminal Court, S.39-114; sowie in:  Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S.425-473.
[2] Stand: 15. Juni 2006. Eine aktuelle Auflistung aller Staaten, die das ICC-Statut ratifiziert haben, findet sich unter: www.iccnow.org.
[3] Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit Postschiff, S. 396.
[4] Stahn, Gute Nachbarschaft um jeden Preis? ZaöRV 60 (2000), S. 632.
[5] Wedgewood, An American View, EJIL 10 (1999), S. 93-107 (106).
[6] Biegi, Die humanitäre Herausforderung, S. 179.
[7] Wedgewood, EJIL 10 (1999), S. 93-107 (106); Chopra, Peace-Maintenance: The evolution of international political authority, London 1999, S. 90.
[8] Biermann, Aussöhnung und Neubeginn: Das Haager Tribunal und seine Folgen, IP 5/2002, S. 21-24 (21).
[9] Washington stoppt Finanzhilfen für Serbien, DIE WELT v. 2. Juni 2006.