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Gesetzlich verordnete Lebensführung

Da säuft sich ein pubertierender 16-Jähriger mit angeblich 52 Gläsern im Rahmen einer ‚Flatrate’-Saufparty ins Koma, und sofort schreien sich für Volkes Gesundheit zuständig fühlende Politiker reflexartig nach einem ‚Jugendverbot für Alkohol’.

Und ebenso eilfertig nehmen sich Medien, insbesondere Talkshows, dieses Themas und der dahinter lauernden Phänomenologie der Entartung unserer Gesellschaft an.

Statuiert werden darf, daß der Genuß von Alkohol bundesweit – und insbesondere bei Jugendlichen(!) – erfreulicherweise abgenommen hat. Dies ist umso bemerkenswerter, als gerade Sportsendungen bevorzugt von Bier- und Wodkaherstellern gesponsort werden. Dieser ohne erzwingende Gesetze(!) erfolgte Lerneffekt wird völlig vernachlässigt, allenfalls als ergänzendes Apercu in die Diskussion geworfen. Auf die wirklichen Hintergründe und Ursachen dafür, daß eine ganz bestimmte Gruppe Jugendlicher exzessives Saufen als (kurzfristige) Flucht aus ihrer zunehmend öden, inhalts- und perspektivelosen Welt, als cooles Gruppenerlebnis und potentielle Anerkennung generierendes Verhalten erachtet, geht die Legislative ohnehin nicht ein. Dem Gesetzgeber wäre es zum einen zu mühsam, sich in (eigentlich notwendige) komplexe psychologische Erörterungen zu vertiefen, zum anderen verprellten sie damit mutmaßlich gerade die immer größer werdende Wählerschar, deren Versagen sich in den Verhaltensweisen o.g. Jugendlicher niederschlägt – deren Eltern und unmittelbare Beziehungskreise.

Das eigene Bewußtsein teilweise oder gänzlich mit Rauschmitteln (Alkohol oder Drogen) vorsätzlich auszublenden, basiert auf wenigen, gleichwohl starken Motiven:

Neugier (dem stärksten, natürlichsten und an sich harmlosesten): Nahezu alle unsere Erfahrungen fußen darauf, daß wir etwas (zumindest einmal) tatsächlich selbst ausprobieren, um dessen (Aus)Wirkung(en) zu erfahren, um intellektuell zu verstehen und haptisch wie emotional zu begreifen, worum es dabei geht – mit dem Ergebnis, daß wir es dann oftmals als ‚erlebt, aber relativ reizlos’ zu den Akten legen.

Diese natürliche und den eigenen Horizont erweiternde Lebenserfahrung ist grundsätzlich zu bejahen. Optimal ist sicherlich, wenn das Kind/der Jugendliche derartige Erfahrungen mit seinen Eltern offen und ehrlich besprechen (vielleicht sogar mit diesen zusammen machen) kann. Ob es sich dabei um den ersten Genuß von Alkohol handelt (Neujahrssekt, Wein zum Abendessen oder ein gemütliches Bierchen am Abend) oder auch das erste Hasch-Pfeifchen, die ersten sexuellen Kontakte mit dem anderen Geschlecht, etc. – je vertrauensvoller das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist, desto offener und unaufgeregter kann (und wird) der sich ständig erweiternde Lebenshorizont auch jeweils kommuniziert und dann besprochen. Verheimlicht wird jeweils nur, was in irgendeiner Weise mit ‚falsch’, ‚nicht erlaubt’, ‚böse’ oder ‚verboten’ assoziiert wird – Folge eines angeknacksten Vertrauensverhältnisses zwischen Kind/Jugendlichem und Eltern. Höchst problematisch – und dann gerinnt die gesunde Neugier zur potentiell strafbewehrten Handlung – ist für das Kind, wenn moralinsauere, in Bigotterie verhaftete, ultimativ angepaßte Eltern sich mehr als ‚Ordner der Gesellschaft’ denn als ‚Begleiter und Lebensertüchtiger ihrer Kinder’ verstehen und verhalten.

Ebensowenig als wertvolle Begleiter geeignet sind diejenigen Eltern, deren Horizont nur vom Fernseher bis zum Kühlschrank reicht; daß deren Kinder sich – beinahe natürlicherweise – andere Orientierungen suchen (und dabei nur allzuoft an die Falschen geraten, die vorgaukeln, ihnen genau das zu geben, was sie im Elternhaus nicht bekommen), liegt auf der Hand.

Damit sind wir bei den negativen Motiven, die Kinder/Jugendliche zu Alkohol und Drogen greifen und sogar ins kriminelle Milieu abgleiten lassen:

Frustration, Hilf- und Perspektivelosigkeit, die vergebliche Suche nach Aufmerksamkeit, Zuwendung, Interesse, Lob, Liebe, Antworten auf Fragen, Achtung, Verständnis, gemeinsame Erlebnisfelder und Vorbilder (lieber negative als gar keine!).

In dem Maße, in dem sie in anderen Gruppen genau das finden, was sie (völlig natürlicherweise) suchen, aber eben zuhause nicht erfahren, werden sie (unter Hintanstellung emotionaler Bedenken und Gewissensbisse – ihr Ethos macht sich bemerkbar, aber sie verdrängen es „erfolgreich“ mit Alkohol und Drogen) – immer mehr zum Opfer derartiger Ersatze für das von ihnen abgelehnte Elternhaus. Von da aus ist der Weg zur Ablehnung der nächsthöheren Stufe der Sozialität – der Gesellschaft insgesamt – und damit der Weg in die Asozialität nicht mehr weit.

Hierin liegt auch der Schlüssel für den Zuwachs von Jugendbanden, stetig zunehmende Gewalt in immer jüngeren Altersgruppen, (scheinbar unerklärliche) Amokläufe von Schülern (und nie erwachsen gewordenen Älteren), die zunehmende Flucht von jungen Menschen zu Kirchen und Sekten, Satanskulten und sonstigen Verirrungen, bis hin zu (kollektivem) Terrorismus [ob auf weltlicher (RAF, NPD, etc.) oder religiöser (Kreationisten, Islamisten, etc.) Ebene] – allsamt hilflose Schreie, eine von Aussichtslosigkeit gejagte Sehnsucht nach Aufmerksamkeit, Zuwendung, Interesse, Lob, Liebe, Ermunterung zu eigenem Handeln, Antworten auf Fragen, Achtung, Verständnis, Gemeinsamkeit, kurz: ein inhaltsreiches, grundsätzlich positivistisch fundiertes Erleben in seiner Gesamtheit!

Fazit: Mit einem ‚Verbot von Alkohol für Jugendliche’ schlägt der Gesetzgeber – einmal mehr – den „Sack“, obwohl er den „Esel“ meint. Nicht ‚die Kinder/Jugendlichen’ sind die Schuldigen, ja nicht einmal der Alkohol/die Drogen und sonstige gesellschaftlichen Feindbilder. Es ist die Familie, der primäre Erlebnishorizont im Elternhaus, der darüber entscheidet, ob sich ein Kind/Jugendlicher freudvoll und neugierig-interessiert seinem Leben stellt und seinen eigenen Lebensplan entwickelt. Neugier führt zu Informationsbedürfnis und Fragen, die nach Antworten lechzen, um zu Erfahrung und Wissen zu gerinnen. Die Breite erworbenen Wissens in verschiedenen Bereichen und Feldern führt letztlich zu Bildung und – Folge erlebter/gelebter Bildung im Alter – zu Weisheit.

Wo aber nun bereits Neugier als störend empfunden und gemaßregelt wird („Sei nicht so neugierig“ heißt übersetzt: „Ich weiß es selbst nicht, bin aber zu bequem, mich schlau zu machen; Du zeigst mir durch Deine Fragen unverschämt auf, wie blöde ich selbst bin. Das untersage ich Dir“), Fragen weder Interesse wecken noch Antworten bieten, der Bildungsstand der Eltern nahe dem Gefrierpunkt ist, Liebe, Vertrauen und Herzensbildung Mangelware sind, ändert doch ein Gesetz – aufwachen, ihr selbstverliebten, etatistischen Liebesdiener des Populismus’! – nicht das mindeste! Leistungsverweigerung, kultureller Starre und antisozialer Bockigkeit ist doch nicht mit Gesetzen beizukommen! Das müßten doch sogar Politiker kapieren.

Über all dem Wust an (aus ähnlichen Motiven staatsverliebter Politiker verabschiedeten, zum größten Teil aber völlig widersinnigen) Gesetzen verroht und verblödet unsere Gesellschaft – national wie globalisiert! – immer mehr. Dabei wird sowohl die Unfähigkeit der eigentlich Verantwortlichen wie auch die Mitschuld der dies nicht wahrhaben wollenden Politiker immer dichter verbrämt und verkleistert – natürlich mit hochwohllöblichen, „christlich“-„sozialen“-„humanistischen“ Schleifchen versehen.

Nicht Ganztagesschulen und eine gesetzliche Kindergartenpflicht, Rauchverbot, Richtgeschwindigkeit und Mindestlöhne (für indiskutabel geringe Leistung oder wenig Qualifizierte), Tarifverträge und Zwangsmitgliedschaften, Heere von Verwaltungsbütteln und Hunderttausende von Gesetzen für praktisch jede Handbewegung lösen unsere Probleme; der Schlüssel liegt im Erziehungs- und Bildungswesen, insbesondere deren erste Ausprägung – im Elternhaus.

Dementsprechend gelte es, potentiellen Eltern Hilfe dabei anzubieten, wie man bei hilflos auf ein l(i)ebenswertes Zuhause angewiesenen kleinen Menschen die Grundlage für ein liebens- und lebenswertes, interessantes und erfolgreiches Leben zu legen lernt. Nein, nein – das sollt nicht Ihr Politiker tun. Dazu fehlt Euch nun wahrlich jegliche Kompetenz!

Dazu wären Elternschulen geeignet – sicherlich vernünftiger für Volkshochschulen, als Bonsai-Kurse anzubieten.

Diese Erfahrung – interessierte Eltern und Jugendliche – erleben wir gerade in Rußland, wo wir mit dem Anthropos e.V. – für die Kinder dieser Welt“ (www.anthropos-ev.de) die erste Elternschule aufbauen. Warum nicht hier in Deutschland – ohne ein neues Gesetz!?

H.-W. Graf