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Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Angriff auf Syrien ist völkerrechtswidrig

Während die Bundeskanzlerin unter dem Beifall der Verteidigungsministerin und des SPD-Außenministers und weiterer Abgeordnete des Bundestages erklärte, daß der von den USA, England und Frankreich geführte Angriff auf Syrien „erforderlich und angemessen“ sei, stellt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages (siehe Anlage) eindeutig fest, daß dieser Angriff völkerrechtswidrig war. Unten angehängt ist ein Artikel, der ebenfalls darauf eingeht.

Die ZDF-heute-Sendung am 10.04.2018 hat einen Bericht von Uli Gack ausgestrahlt. Uli Gack ist in Syrien und hat Flüchtlinge aus Duma befragt. Er meint, dass die Aussagen der Flüchtlinge glaubhaft seien. Diese sagen, dass IS-Kämpfer in Duma Behälter mit Chlorgas aufgestellt hatten, die bei einer Bombardierung durch die syrische Luftwaffe getroffen wurden und somit von den IS-Kämpfern gewollt das Chlorgas freigesetzt wurde. Der Bericht von Uli Gack in der ZDF-Heute Sendung vom 20. 04.2018 ist hier zu finden: https://www.zdf.de/nachrichten/heute-19-uhr/videos/zitat-sgs-gack-syrien-100.html. Falls er auf dem ZDF-Link nicht mehr zu sehen ist, er ist auch auf Zero Hedge eingebettet, einer englischsprachigen Nachrichten-Website, die ihre Leser über den Bericht informiert:https://www.zerohedge.com/news/2018-04-21/germanys-largest-public-tv-news-broadcaster-syria-chemical-attack-most-likely

Aus GERMAN-FOREIGN-POLICY.com

Die Ära der Repressalien

23.04.2018

BERLIN (Eigener Bericht) – Die deutsche Verteidigungsministerin bekräftigt die grundsätzliche Bereitschaft Berlins zu militärischen Aggressionen wie dem jüngsten westlichen Überfall auf Syrien.
Was „in diesem Fall Großbritannien aus der Luft beigetragen“ habe, „könnten wir auch leisten“, bot Ursula von der Leyen am Wochenende an. Man sei allerdings „diesmal nicht gefragt worden“.
Die Äußerung erfolgt in Kenntnis der Tatsache, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages – wie zahlreiche andere Rechtsexperten – den Überfall als klar völkerrechtswidrig einstufen.

Grundsätzlich unzulässig

Am vergangenen Freitag ist ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages bekannt geworden, das die Bombardierung Syriens durch die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich am 14. April in völkerrechtlicher Hinsicht untersucht. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es sich bei dem Angriff im juristischen Sinn um eine „Repressalie“ gehandelt habe – eine „Gegenmaßnahme“ militärischer Art gegen Aktivitäten eines anderen Staats, in diesem Fall gegen den – angeblichen oder tatsächlichen – Einsatz von Giftgas durch Syrien. Repressalien, so heißt es in dem Dokument, „sind grundsätzlich unzulässig“.[1]
Das gelte „auch dann, wenn eine Regierung eine zentrale Norm des Völkerrechts verletzt hat“. Anstelle von Repressalien sehe das internationale Recht, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden sei, eindeutig „rechtsförmige Mechanismen“ vor, um Normenverletzungen zu sanktionieren – „sei es im Rahmen der Chemiewaffenkonvention, sei es im Rahmen des Völkerstrafrechts“.
Daran ändere auch der Einwand der Bundesregierung nichts, der UN-Sicherheitsrat sei bezüglich des Syrien-Kriegs nicht handlungsfähig, da Russland sich dort den Vorstößen der westlichen Mächte verweigere.
Dass die Aggressoren vor dem Bombardement nicht einmal die Untersuchung der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) am Schauplatz des – angeblichen oder tatsächlichen – Giftgaseinsatzes abgewartet hätten, falle bei der völkerrechtlichen Beurteilung des Angriffs „umso mehr … ins Gewicht“.

Im humanitären Gewand

Wie die Autoren des Gutachtens weiter konstatieren, rückt in der allgemeinen Debatte über die militärische Aggression vom 14. April, aber auch in der Begründung des Überfalls durch die drei Angreiferstaaten und ihre Unterstützer „die Frage nach der völkerrechtlichen Legalität“ in der Tat „in den Hintergrund“ [2] – und wird durch die Bekräftigung einer „politisch-moralischen Legitimität“ des Bombardements ersetzt.[3]
Dies sei schon bei der Begründung des Kriegs gegen Jugoslawien im Jahr 1999 so gewesen, heißt es in dem Dokument. Tatsächlich hat der damalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder (SPD) später öffentlich eingestanden, dass die Angriffe der NATO, darunter Einheiten der Bundeswehr, unter Bruch des Völkerrechts erfolgt seien.[4]
Aus einer – tatsächlichen oder angeblichen – „Legitimität staatlichen Handelns“ aber, heißt es weiter in dem Bundestagsgutachten, „erwächst nicht automatisch dessen Legalität“. Völkerrechtlich habe man es vielmehr mit einer klassischen „bewaffneten Repressalie“ zu tun, wenngleich im ‚humanitären Gewand'“.
Derlei Repressalien sind in der Tat in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und punktuell auch noch in der Zeit zwischen den Weltkriegen verbreitet gewesen.
Nach den furchtbaren Verheerungen des Zweiten Weltkriegs wurden sie allerdings völkerrechtlich gebannt.

Carte blanche für Gewalt

Ein endgültiger Rückfall in die Ära der Repressalien wöge schwer – auch, weil in Ermangelung eines von allen anerkannten Rechts jeder Staat eine eigene politisch-moralische „Legitimität“ für die Durchsetzung seiner Interessen beanspruchen könnte. Darauf hat kürzlich der Jurist Andreas Kulick von der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen hingewiesen. Der „Preis“ für die Berufung auf „Legitimität“ sei, dass in Zukunft auch andere Staaten bei der Verfolgung ihrer Ziele eine solche „Legitimität“ geltend machen könnten, warnt Kulick. Zuletzt habe dies vor allem Russland getan.[5]
Tatsächlich kann die Übernahme der Krim durch Russland als Nachahmung der Abspaltung des Kosovo durch den Westen eingestuft werden, wobei Moskau – anders als die NATO – dafür keinen völkerrechtswidrigen Bombenkrieg mit zahllosen Todesopfern führte. Man müsse davon ausgehen, dass bei einer endgültigen Preisgabe des Legalitätsprinzips zugunsten einer diffusen politisch-moralischen „Legitimität“ sich früher oder später „jeder Staat berechtigt“ fühlen könne, einen Krieg gegen einen Gegner zu führen, sofern es nur gelinge, diesen Gegner möglichst lautstark „der Verantwortung für eine menschliche Tragödie“ zu beschuldigen, sagt Kulick voraus: „Die mögliche Konsequenz einer solchen carte blanche für die Anwendung von Gewalt ist nicht weniger, sondern mehr menschliches Leid.“[6]

Nach westlichem Vorbild

Ein Beispiel dafür, wie die Dinge eskalieren könnten, bieten jüngste Äußerungen aus Iran. Das Land steht massiv unter Druck, weil die Trump-Administration angekündigt hat, in Kürze aus dem Nuklearabkommen mit ihm auszusteigen, obwohl Teheran sich bislang strikt an dessen Auflagen hält. Jetzt heißt es in der iranischen Hauptstadt, man behalte sich Maßnahmen jeglicher Art vor.
In der vergangenen Woche hat sich der Chefredakteur einer iranischen Zeitschrift, die dem Milieu antiwestlicher Hardliner zugerechnet wird, mit der Aussage zitieren lassen, „so wie Amerika ohne internationales Mandat Syrien angegriffen habe, dürfe wohl nun jedes Land, auch Iran, ein anderes Land angreifen„.[7]
Das wäre zwar völkerrechtswidrig; man darf aber davon ausgehen, dass die iranische Regierung Mittel und Wege fände, derartige Angriffe unter Berufung auf eine angebliche Legitimität aus der Perspektive ihrer politischen Moral zu begründen – nach westlichem Vorbild.

„Wir können das auch“

Dass die Bundesregierung derzeit dabei ist, den abschüssigen Weg vom traditionellen Völkerrecht hin zur Begründung militärischer Aggression durch angebliche Legitimität zu beschreiten, haben am Wochenende Äußerungen von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bestätigt.
Bereits unmittelbar nach dem Bombardement Syriens am 14. April hatte Kanzlerin Angela Merkel erklärt, der völkerrechtswidrige Angriff sei „erforderlich und angemessen“.[8]
Ähnlich hatten sich weitere deutsche Regierungspolitiker geäußert, darunter Außenminister Heiko Maas (SPD). Jetzt kündigt Verteidigungsministerin von der Leyen – in Kenntnis der Einstufung des militärischen Überfalls durch die deutschen Parlamentsjuristen als völkerrechtswidrig – an, einer deutschen Beteiligung an derlei Attacken stehe grundsätzlich nichts entgegen: „Was in diesem Fall Großbritannien aus der Luft beigetragen hat, könnten wir auch leisten“. Berlin sei nur „diesmal nicht gefragt worden“.[9]

„Nicht mehr das Völkerrecht, das wir kennen“

Die Autoren des Bundestagsgutachtens warnen vor dem Weg in eine neue Ära der Repressalien. „Den Rechtsauffassungen von Staaten kommt im Völkerrecht eine große, wenn nicht sogar gewohnheitsrechtsprägende Bedeutung zu“, schreiben sie: Sie könnten prinzipiell „einen Wandel des bestehenden Völkerrechts“ zur Folge haben.
Es sei nicht auszuschließen, dass künftig „Fälle von ‚humanitär begründeten Repressalien'“ Eingang in das internationale Recht fänden, wenn die westlichen Mächte sich ihrer nur häufig genug bedienten.[10]
Darauf hat kürzlich auch Helmut Philipp Aust, Professor für Öffentliches Recht an der FU Berlin, hingewiesen. Zwar stehe es der Bundesregierung frei, „zu der Auffassung“ zu gelangen, „dass am völkerrechtlichen Gewaltverbot in seiner bisherigen Form nicht festgehalten werden soll“, schrieb Aust in der vergangenen Woche: „Dann sollte sie aber auch diese Rechtsposition klar artikulieren und darlegen, ob sie einer Doktrin der humanitären Intervention oder der Rückkehr bewaffneter Repressalien das Wort reden möchte“.[11]
Der Jurist konstatiert: „Es wäre dann … nicht mehr die Völkerrechtsordnung, die wir kennen.“


[1] Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. WD 2 – 3000 – 048/18. Auszüge aus dem Gutachten: Legalität und Legitimität.

[2] Lediglich Großbritannien hat versucht, das Bombardement syrischer Einrichtungen völkerrechtlich zu begründen. Die Begründung ist allerdings, wie das Bundestagsgutachten zeigt, nicht tragfähig.

[3] Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. WD 2 – 3000 – 048/18. Auszüge aus dem Gutachten: Legalität und Legitimität.

[4] S. dazu Präsidiable Politik.

[5], [6] Andreas Kulick: Syria and the Humanitarian Reprisal – President Trump’s Poisonous Gift to International Law? verfassungsblog.de 14.04.2018.

[7] Rainer Hermann: Iran bereitet sich auf den Ernstfall vor. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.04.2018.

[8] S. dazu Auf dem Weg in den Weltkrieg (II).

[9] „Anbiedern oder Nachgiebigkeit macht Putin nicht freundlicher“. spiegel.de 22.04.2018.

[10] Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. WD 2 – 3000 – 048/18. Auszüge aus dem Gutachten: Legalität und Legitimität.

[11] Helmut Philipp Aust: Völkerrechtswidrigkeit benennen: Warum die Bundesregierung ihre Verbündeten für den Syrien-Luftangriff kritisieren sollte.
https://verfassungsblog.de/voelkerrechtswidrigkeit-benennen-warum-die-bundesregierung-ihre-verbuendeten-fuer-den-syrien-luftangriff-kritisieren-sollte/ 16.04.2018.