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Verwirrspiel in der Ukraine

Das Verwirrspiel um die Krim-Republik, die sogar eine eigene Flagge besitzt und 1954 vom damaligen russischen Präsidenten Nikita Chruschtschow im Rahmen der als ‚ewig‘ apostrophierten ‚sozialistischen Brudergemeinschaft‘ den Ukrainern geschenkt wurde, wächst von Tag zu Tag. Nahezu stündlich überraschen uns die Medien mit neuen Enthüllungen über die politischen Hintergründe, von Washington über Luxemburg bis Moskau in die Welt gesetzten Drohungen oder Warnungen. Je nach Intention werden dabei politische oder humanitäre, wirtschaftliche oder militärische Überlegungen ins Feld geführt.

In der Tat lohnt ein näherer Blick auf diesen Konflikt: Die Ukraine ist (ohne die Halbinsel Krim) mit etwas über 600.000 km² rund 1,8 mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, dafür ist Deutschlands Bevölkerung rund 80% größer als die der Ukraine.

Wirtschaftlich ist die Ukraine überwiegend auf den Export von Primärenergieträgern und mineralischen Produkten angewiesen, leidet jedoch praktisch seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Brudergemeinschaft unter einem jährlichen Handelsdefizit von durchschnittlich etwa 20%.

Während 78% der Bevölkerung traditionell gleichermaßen Ukrainisch und Russisch sprechen, wird in der Krim-Republik zu fast 80% Russisch und jeweils zu 10% Ukrainisch oder Krimtatarisch gesprochen.

Insofern gewinnt die Intention von Wladimir Putin, die russische Bevölkerung auf der Krim zu schützen, eine etwas andere Bedeutung, als uns dies westliche Medien und die vorlaute US-Außenministerin Clinton weiszumachen versuchen; wie würden sich wohl die US-Amerikaner verhalten, wenn die Kubaner das US-Territorium Guantanamo auf Kuba zu besetzen drohten? Wie verhielten sich die Engländer beim Falkland-„Krieg“? Und würde London eine Annexion Gibraltars durch die Spanier klaglos hinnehmen?

Was die Krise in der Ukraine so verwirrend erscheinen läßt, sind die verschiedenen wirtschafts-, finanz- und ideologie-behafteten realpolitischen Intentionen der unterschiedlichen Interessensgruppen, die sich dort hemmungs- und rücksichtslos engagieren. Wer in wessen Auftrag und mit welchem Ziel auf wen schießt und ihn des Verrats, der Lüge, ideologischer Verblendung und übelster Machenschaft zeiht, kann heute de facto niemand mehr mit Sicherheit konstatieren.

Das ganze Gerede von einem drohenden ‚Dritten Weltkrieg‘ (Egon Bahr) muß niemanden ängstigen. Es schält sich immer mehr heraus – was wir von Anfang an befürwortet haben –, daß man es den Bewohnern der Krim tunlich selbst überläßt, per demokratischem Votum darüber zu entscheiden, ob man sich der Ukraine zugehörig fühlt, oder ob man (neben Kaliningrad, dem früheren Königsberg) zur zweiten Exklave Rußlands werden möchte.

Je bewußter dieser Konflikt allerdings zwischen den Großmächten Moskau, Washington und EU sozial-, wirtschafts- und finanzpolitisch aufgeheizt wird, desto mehr wird die Bevölkerung – und um die geht es ja angeblich unseren politischen Maulhelden – darunter leiden, was wieder einmal mehr die Falschen trifft, denn mit einem Bruttoinlandsprodukt von knapp 1.400 € pro Jahr und Einwohner ist die Ukraine ohnehin eines der ärmsten europäischen Entwicklungsländer (zum Vergleich: Deutschland erwirtschaftet ein Bruttoinlandsprodukt von rund 27.000 € pro Jahr und Einwohner).

So schmerzhaft die binnen-ukrainischen Gewaltattacken auch sind, vor einem Weltkrieg muß m.E. niemand Angst haben. Und auch die nötigen Milliarden, mit denen die Weltbank und der IWF bereits zugesichert haben, die Ukraine vor dem finanzwirtschaftlichen Kollaps zu bewahren, werden weder den US-Dollar noch den Euro nachhaltig treffen.

Insofern: Hoffen wir auf Restbestände von Vernunft und menschlicher Achtung in den Hirnen und Herzen unserer Politiker, und freuen wir uns ansonsten auf den Frühling und eine zunehmend wärmende Sonne.

Hans-Wolff Graf