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Killerspiel im Kinderzimmer

Wenn Bernhard (13) mal wieder richtig frustriert ist – Vater, Mutter, seine ältere Schwester, die Schule –, zieht er sich in sein Zimmer und hinter den PC zurück, um seinen ganzen Ärger, seine Wut an einem der zahlreichen Videospiele auszulassen, die er sich heruntergeladen hat. Gerade hat ihm Martin, sein Klassenkamerad, ein tolles neues Spiel geschickt, bei dem ein Typ, der verdächtig an Silvester Stallone erinnert, die Aufgabe zu erledigen hat, einen Freund aus Feindeshand zu befreien. Bis an die Zähne bewaffnet bekämpft und tötet er jeden Feind, der sich ihm dabei in den Weg stellt. Wirklich ein tolles Spiel.

Natürlich geht es Bernhard nur ‚um das Spiel’, bei dem er so richtig aus sich herausgehen kann, alles im Griff hat – in dem klaren Bewußtsein, dabei nicht verlieren zu können, sondern immer neue Punkterekorde aufzustellen.

Am nächsten Tag prahlen die Jungs dann in der Klasse mit ihren Spielergebnissen. Und daß diese Spiele wesentlich reizvoller sind, als Mathe, Latein oder Englisch zu büffeln, ist doch wohl verständlich. Und die Aufregung seiner Mutter, die sich um seine Zukunft besorgt zeigt, kann er nun gar nicht nachvollziehen; billiger sind Unterhaltung, Spannung, Spiel und Erfolgserlebnisse doch kaum zu kriegen.

Wenn der mahnende Hinweis auf die brutale Szenerie in diesen Spielen kommt, kontert Bernhard mit dem Hinweis darauf, daß sich sein Vater regelmäßig Boxkämpfe und Wrestling im Fernsehen ansieht – je blutiger und brutaler, desto spannender.

Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, was eigentlich für Jugendliche – insbesondere für Jungen – den Reiz sogenannter Killerspiele ausmacht, dann sollten wir dies nicht vornehmlich mit den Augen und aus der Sichtweise eines Erwachsenen tun, sondern versuchen, uns in die Psyche der Kinder und Jugendlichen zu versetzen, die sich dabei, oftmals stundenlang, hinter den PC setzen, um mithilfe dieser Spiele für eine gewisse Zeit ihre entweder als dröge und langweilig empfundene Situation zu verlassen, oder sich mit diesen Spielen von einer als feindlich empfundenen Umwelt abzukoppeln.

Bei diesen Spielen wird den Jugendlichen alles geboten, was für sie Spannung bedeutet. Sie können sich – wie bereits erwähnt – sogar ohne jedes Risiko, zu verlieren – selbst beweisen, in eine mystische Heldenfigur schlüpfen, und dabei werden sie auch noch von entsprechenden Bildern und Tönen, perfekt designed, begleitet.

Woher soll eigentlich auch nur das geringste Schuldbewußtsein bei Jugendlichen entstehen, wenn zur selben Zeit Hunderttausende von Jugendlichen genau dasselbe tun? Wie groß ist denn eigentlich der Unterschied zu dem, was – längst nicht mehr spätabends, sondern bereits im Nachmittagsprogramm – an Gewalt- und Horrorfilmen, Thrillern und Talkshows über den Bildschirm flimmert und tagtäglich Dutzende von Toten und Verletzten gegen eine geringe Fernsehgebühr geliefert werden?

Es macht überhaupt keinen Sinn, reflexartig nach dem Staat und Verboten zu rufen, bzw. à la Innenminister Beckstein denjenigen mit Freiheitsentzug zu drohen, die derartige Spiele anbieten und verbreiten. Speziell was deren Weitergabe anbelangt, dürften damit wohl jeden Tag Zehntausende von Jugendlichen kriminalisiert werden.

Daß Verbote grundsätzlich den Reiz erhöhen, dürfte sich auch bis in die Parteizentralen herumgesprochen haben, und daß mit einem in Deutschland oder EU-weit gültigem Gesetz der Herstellung derartiger Videos und Spiele im Ausland und deren Verbreitung auch hierzulande nicht beizukommen ist, weiß ohnehin jeder Mensch bei klarem Verstand.

Wesentlich interessanter und entsprechend hilfreicher wäre es,  [….]