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Wenn die Bank zum Wettbüro wird

Als ich vor 53 Jahren, erwartungsfroh und mit einer Tüte voller Süßigkeiten zwecks Bildungserwerb eingeschult wurde, erwartete uns bereits am dritten Tag eine nette, etwas vollschlanke Tante von der Sparkasse, die jedem von uns, der in der Lage war, rhythmisch seinen Namen zu nennen, ein dralles Sparschwein (meines war gelb, was mir irgendwie unnatürlich erschien) übergab; und für die richtige Antwort auf die Frage, was eine Bank sei, steckte ‚Tante Sparkasse’ ein Zehnpfennigstück in den Schlitz.

Damit war ein stiller Pakt besiegelt: Geld gewinnt nur an Wert, wenn man es spart und der Tante anvertraut. Die weiß, wie man mehr d’raus macht, und sie tut das ausschließlich zu unserem Wohl; wer spart, der hat was für später!

So wurde ein ewiges Verhältnis aufgebaut, dem frühere Generationen mitunter lebenslang die Treue hielten.

Zehn Jahre später wurde das Girokonto – damals kostenlos! – großflächig eingeführt; immer mehr wurden Arbeitslöhne, Gehälter und Renten, innerhalb von weiteren zehn Jahren praktisch der gesamte Zahlungsverkehr, unbar und zunehmend anonym über Konten abgewickelt, womit die reale Existenz des Gegenwertes in Mark und Pfennig eine entscheidende Wandlung erfuhr.

Aber immer noch wähnte man die Bank als verläßliche Verwahr- und Sammelstelle für das eigene Vermögen. Wer clever war, hatte nicht nur ein Giro-, sondern parallel auch noch ein Sparkonto, da es nur auf letzteres Zinsen gab. Das Sparbuch ließ man in unregelmäßigen Abständen zinslich auf den neuesten Stand bringen und freute sich ob des Zuwachses.

Dann kostete das Girokonto, just nachdem praktisch kein Leben mehr ohne möglich war, Gebühren – für dessen schiere Existenz, später für jede damit verbundene Tätigkeit und insbesondere für dessen Überziehung. Aber wir vertrauten immer noch den monetären Medizinmännern; man kannte und grüßte sich und glaubte an den fairen Austausch von Ware und Dienstleistung.

Da der Sparzins immer mehr die für alles geforderten Gebühren nicht ansatzweise aufwog, stieg die Nachfrage nach rentierlicheren Geldanlagen logischerweise, und wer nicht danach frug, dem galt es, sie „nahezubringen“, was euphemistisch als „Beratung“ verkauft wurde. Dabei zogen die zu ‚angestellt’ denkenden Banker anfangs nicht so recht. Also galt es, sie zu „schulen“ – als Verkäufer von Finanzprodukten. Sie sollten von den freien Finanzvertrieben lernen, die mit geringstem Fachwissen, aber hoch motiviert und bedenkenlos aggressiv seit Anfang der 1970er Jahre wie die Heuschrecken das Land überzogen.

O tempora mutantur, o tempora o mores! Wie sich die Zeiten und (noch viel mehr) die Sitten doch ändern.

Heute ist die Bank zum natürlichen Feind des Geldes ihrer Kunden mutiert. Die auf Umsatz und Produktverkauf dressierten Banker sind zu Drogendealern im Auftrag ihrer Geschäftsstellenleiter mutiert, die ihrerseits die von den Kartellwächtern erarbeiteten Margenpläne zu erfüllen haben, wenn sie verwegenerweise Karriere machen und aufsteigen wollen. Ihre Entlohnung richtet sich nach der Anzahl der unterschiedlich wertvollen Segmentkunden, denen man „höherwertige“ Finanzprodukte andrehen kann. Insofern besteht zwischen Strukturvertrieben und Bankern faktisch kaum noch ein Unterschied, außer daß letztere, mit Rücksicht auf ihren Angestelltenstatus, etwas vorsichtiger taktieren – der Kunde könnte ja wiederkommen –, wohingegen die Strukkis nach dem Prinzip ‘AUA’ (‚Anhauen, Umhauen, Abhauen‘) handeln. Heute gibt’s davon etwa 400.000 – mit einem „Umsatz“, der (pro Mitarbeiter) zehnfach über dem der Banker liegt.

Beiden gemein ist aber, daß sie ihre Opfer als schiere Lieferanten von Sprossen der Leitern ihrer Karrieren (v)erachten. Der gemutmaßte ‚Dienstleistungsgedanke’ hat im Denken und Handeln dieser korsettierten Systemheloten nicht mehr den mindesten Platz.

Wenn nun unsere politischen Heerführer von eigene Gnaden genau diesen Vergewaltigern unserer Spargroschen wieder ‚Moral’ beizubringen vorgeben, das System auf ‚neue, sichere Füße zu stellen’ versprechen, dann haben sie entweder nicht die geringste Ahnung, wovon sie faseln, oder – gehen sie ruhig davon aus, denn so unwissend kann auch der debilste Politiker nicht sein – sie handeln in vollem Wissen, längst unters Joch der allmächtigen Finanzinstitute (bzw. ihrer Mehrheitsbesitzer) geschirrt, nur als Erfüllungsgehilfen; immerhin winken in Vorständen und Aufsichtsräten von Landesbanken sowie (halb-)privaten und öffentlich-(un)rechtlichen Kreditinstituten jede Menge höchst lukrativer Posten – womöglich nach der politischen Karriere.

Banken sind längst zu finanziellen Ramschläden, Wettbüros für alles, was nach Provision, Gebühren, Umsatz und Profit riecht – für sie selbst, nicht für Sie – verkommen. Täglich wurden vor Anbruch der Krise etwa 3,5 Billionen US-$ in Finanztransaktionen um die Erde gepumpt – etwa 1,3 Billiarden pro Jahr, was etwa dem Dreifachen des Weltbruttosozialproduktes entsprach. Das heißt im Umkehrschluß: Mehr als 97% des Finanzschwindels waren durch keinerlei Leistung (Produktion, Handel, Dienstleistung, Konsum) gedeckt. Es handelt sich um Kunstprodukte (‚Derivate’) mensch-licher Gier und Phantasie – finanziert von ebenso künstlichem Geld („Fiat-Money“), geschaffen von den Notenbanken und Politikern, die nicht die geringste Ahnung haben, was in diesem Markt läuft.

Und jetzt soll die US-Notenbank (FED), die beileibe nicht den USA, sondern einer Handvoll großer US-Banken gehört (!), die Aufsicht über einen „strenger regulierten Finanzmarkt“ übernehmen? Braver Obama! Du hast wahrlich die „Böcke“ zu „Gärtnern“ gemacht und Dich zum Volltrottel für das Team, an dessen Strippen Du hängst.

Seit (und trotz) Ausbruch der Finanzkrise hat sich praktisch nichts verändert – weder hierzulande noch anderswo. Mit inzwischen mehr als drei Billionen Steuergeldern wurde weltweit ‚das Kartell’ vor dem Zusammenbruch gerettet; wer nicht zum harten Kern gehört(e), wurde geopfert. Die „systemrelevanten“ (sic!) Finanzinstitute können sich zu Mickey-Mouse-Zinsen Geld leihen, über Querbeteiligungen damit sogar die Eigenkapitalquoten erhöhen und ihre in blinder Gier geramschten, verrotteten Engagements an ‚bad banks’ abschieben (wie wär’s mal mit einer ‚good bank’?).

Die Gier der Banker, die Lügen der Ratingagenturen, deren Mehrheitseigner übrigens die Banken sind, die sie „raten“, und unverschämte Bonus-Zahlungen sind nur die Symptome; it’s the system, stupid!

Bei klein- und mittelständischen Firmen, Häuslebauern und Umfinanzierern kommen diese Steuerdiebstahlsmilliarden beileibe nicht an. Hier werden unter Berufung auf ‚Basel-II’ und ‚die unsichere Wirtschaftslage’ noch mehr Sicherheiten als je zuvor gefordert. Der vor 50 Jahren initiierten Abhängigkeit entkommt nur der, der sich leisten kann, ohne Bank und Schulden zu leben – ein eherner Grundsatz meiner Unternehmens-/Finanzberatung seit 37 Jahren.

Wer sich hingegen auf Ethik und Moral, faires Geschäftsgebaren oder Partnerschaft verlassen zu können hofft, dem sei gesagt: „Ganz schnell vergessen!“ Die wirklich unabhängigen Vermögensverwalter und Berater im Finanzmarkt werden nämlich ganz gezielt aus dem Markt gedrängt – mit immer mehr Bürokratie, Auflagen und Kosten.

Und auf unseren Finanzclown, die Hängebackentante und den öligen Wirtschaftsbaron dürfen Sie genausowenig hoffen, wie auf den gesamten Bundessaftladen.

Wer die Entwicklung des heutigen Bankwesens nüchtern nachvollziehen möchte, der öffne den u.a. link.

H.-W. Graf


www.handelsblatt.com/politik/nachrichten/es-werde-geld-es-werde-krise;2386105;0