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Mammutprojekt Europäische Bankenunion

Während in Sachen Infrastruktur die Tieferlegung des Bahnhofs in Stuttgart (‚Stuttgart 21‘) die derzeit größte Baustelle innerhalb der EU sein dürfte, könnte man das wirtschaftspolitische Pendant einer ‚Großbaustelle‘ in der nun angelaufenen Europäischen Bankenunion sehen. Beiden Projekten ist jedenfalls gemein, daß sie über einen langen Zeitraum andauern werden und daß aus heutiger Sicht noch ziemlich unklar ist, welcher Nutzen daraus erwachsen wird.

Seit Beginn der Krise in 2008 wurden insgesamt 28 neue Vorschriften für eine bessere Regulierung, Überwachung und Steuerung des Finanzsektors vorgeschlagen, um auszuschließen, daß die Steuerzahler in Zukunft erneut zur Kasse gebeten werden, wenn Banken Fehler begehen. Viele dieser Bestimmungen sind mittlerweile in Kraft getreten oder werden in Kürze verabschiedet. Um den Teufelskreis zwischen Banken und öffentlichen Finanzen aber ‚endgültig‘ zu durchbrechen, haben die Staats- und Regierungschefs im Juni 2012 außerdem beschlossen, die Wirtschafts- und Währungsunion durch eine Bankenunion zu ergänzen. Damit sollen EU-weit geltende Bankenvorschriften im Euro-Raum (und in nicht zum Euro-Raum gehörenden teil-nahmebereiten Mitgliedstaaten) auf zentraler Ebene angewandt werden können. Es ist nun amtlich, daß die Europäische Zentralbank (EZB) ab November 2014 die Aufsicht über alle 6.000 Banken des Euro-Raums übernimmt. Dem einheitlichen Regelwerk und der einheitlichen Aufsicht wird/wurde nun noch ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus an die Seite gestellt. Das Motto ‚europäisch leben, national sterben‘ soll für Banken nicht mehr gelten, da nun jede Insolvenz im Rahmen eines ‚echten‘ europäischen Mechanismus verwaltet wird.

Die wohl wichtigsten Neuerungen in diesem Zusammenhang sind die Regelungen zur Gläubigerbeteiligung (‚Bail-in‘). Diese soll dafür sorgen, daß Eigentümer der Bank und ungesicherte Gläubiger für Verluste und Kosten der Stabilisierung einer Bank aufkommen müssen – im Gegensatz zum bisher überwiegend praktizierten ‚Bail-out‘, d.h. dem Herauspauken der Gläubiger durch externe Finanzhilfen (Steuergelder). Als Beispiel für ein bereits vollzogenes Bail-in kann die Bankenrettung in Zypern betrachtet werden, wobei bekannter-maßen bei der Bankenrettung in anderen Euroländern die Beteiligung von Aktionären und Gläubigern à la Zypern bisher weitgehend vermieden wurde. Aus ‚Zypern‘ wurden aber auch die Lehren gezogen, daß ein willkürliches Abrasieren von Einlagen über 100.000 Euro vielleicht doch keine ganz so gute Idee sein würde, zu groß ist das Risiko des vollständigen Vertrauensverlustes der gutgläubigen Untertanen.
Und so haben die ‚drei Musketiere‘, die EU-Kommission, der Europäische Rat und das Europäische Parlament (die im Detail durchaus unterschiedliche Vorstellungen hatten) nun verabschiedet, wie die Reihenfolge der Inanspruchnahme (sogenannte ‚Haftungskaskade‘) am Ende des Tages aussehen soll. Ausgenommen von einem Bail-in sollen auf jeden Fall Schuldverschreibungen, wie Pfandbriefe und bestimmte Verbindlichkeiten mit kurzer Laufzeit, sein. Einlagen bis zu einem Betrag von 100.000 Euro (von natürlichen Personen) sind EU-weit ‚garantiert‘. Einlagen von natürlichen Personen und KMUs* oberhalb von 100.000 Euro sollen überdies ‚bevorzugt behandelt‘ werden (was immer dies auch heißen soll). Umstritten ist derzeit noch, wann Einlagen, die nicht der gesetzlichen Einlagensicherung unterliegen, herangezogen werden und ob anstelle der geschützten Einlagen die zugehörigen nationalen Einlagensicherungssysteme einen Beitrag zu leisten haben.
Die Bail-in Regeln sollen bereits ab 2015/2016 greifen. Interessant ist hierbei: Damit die Bail-in-Instrumente überhaupt greifen können, müssen Institute natürlich genügend Bail-in-fähige Verbindlichkeiten vorhalten (sonst müßte am Schluß doch aufs ‚Garantierte‘ zugegriffen werden, oder aber der Steuerzahler müßte wieder ran). Dies soll durch eine noch vorzu-schreibende Mindestquote erreicht werden (Mindestverlustabsorptionskapazität heißt das im EU-Bankenchinesisch).

Es deutet also vieles darauf hin, daß die Sanierung des nach wie vor angeschlagenen europäischen Bankensystems zunächst einmal nicht durch den einen harten Schnitt (à la Zypern) erfolgen wird, sondern die ‚Altlasten‘ im Zusammenspiel mit der EZB ohne großen ‚Knall‘ auf die nächsten Jahre ‚gestreckt‘ werden sollen. Gleichzeitig soll das Regelwerk zukünftig schon so vorrausschauend sein, daß für neu entstehende Lasten von Anfang an klar ist, wer am Ende den ‚schwarzen Peter‘ in der Hand hält. Ob das funktionieren wird, oder ob nicht überraschende Ereignisse dann doch wieder einiges, wenn nicht alles über den Haufen werfen, kann natürlich genauso wenig prognostiziert werden wie die Frage, wann ‚Stuttgart 21‘ fertig sein und wieviel es gekostet haben wird.

Frank Amann