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Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

„Wir sollten unseren Kindern nicht mit der Klima-Hölle drohen“

Stand: 18.08.2019

Der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes ist jetzt das Aushängeschild der Werteunion. Im Interview spricht er über seine Kritik am CDU-Kurs, die Lust an rhetorischer Zuspitzung und seine Abneigung gegenüber Koalitionen mit den Überfliegern der Grünen.

Viele Jahre arbeitete Hans-Georg Maaßen als Beamter in einem streng strukturierten System. Nach seinem plötzlichen Ende an der Spitze des Verfassungsschutzes mußte sich Maaßen erst einmal orientieren. Er machte einen Jagdschein, treibt viel Sport.

 Seit ein paar Wochen geht er öffentlich in die Offensive, gibt viele Interviews, hat das Empörungsmedium Twitter für sich entdeckt. Angela Merkel und der aktuelle Kurs der Union kommen dabei nicht gut weg.


WELT AM SONNTAG: Herr Maaßen, Sie melden sich nach Ihrem Abtritt als Verfassungsschutzchef fast täglich zu Wort. Mit welchem Ziel?

Hans-Georg Maaßen: Als Bürger Hans-Georg Maaßen äußere ich mich mit einer gewissen Berufs- und Lebenserfahrung und einem daraus sich ergebenden Blick auf die Politik. Als dieser Unruheständler, Rechtsanwalt und politischer Aktivist fühle ich mich sehr wohl. Ich bin mit einigen politischen Grundentscheidungen nicht zufrieden und beziehe dazu öffentlich Stellung. In Gesprächen haben mir Bürger und viele Mitglieder der CDU den Eindruck vermittelt, dass sie genau das von mir erwarten.

WELT AM SONNTAG: Sie inszenieren sich als Gegenspieler von Angela Merkel. Dabei haben Sie kein Amt mehr – und die Werteunion ist noch nicht einmal ein CDU-Flügel. Nehmen Sie sich zu wichtig?

Maaßen: Nein, und erst recht sehe ich mich nicht als ihr Gegenspieler …

WELT AM SONNTAG: … aber ihrer Politik.

Maaßen: Ich wünsche mir in Teilen eine Neupositionierung der CDU, eine Politikwende. Damit stehe ich nicht alleine. Es sind viele, die das fordern. Viel mehr als die 2500 Mitglieder der Werteunion. Die Unterstützung geht auch quer durch die Bevölkerung und die Wirtschaft. Mir sagen manche: „Was Sie sagen, traue ich mich nicht zu sagen oder möchte ich nicht sagen. Aber ich bin froh, dass es artikuliert wird.“ Das empfinde ich als Unterstützung.

WELT AM SONNTAG: Demokratie lebt davon, dass Meinungen artikuliert werden.

Maaßen: Personen an führenden Stellen in Unternehmen, Organisationen oder Vereinen möchten sich politisch oft nicht artikulieren, weil das Auswirkungen auf das Geschäft oder die Karriere haben kann. Das verstehe ich. Eine Allensbach-Umfrage hat gerade erst gezeigt, dass fast zwei Drittel der Menschen der Überzeugung sind, dass bei uns die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist. Sie haben Angst vor beruflichen oder persönlichen Nachteilen, weil sie eine bestimmte Meinung äußern.
Das höre ich auch bei Gesprächen mit Bürgern. Ich werde gefragt, was ich denn dazu sage, dass man nicht mehr sagen darf, was man noch vor fünf oder zehn Jahren sagen durfte, ohne gleich mit der Nazikeule totgeschlagen zu werden. Wir haben hier ein Problem.

WELT AM SONNTAG: Welche Ursachen sehen Sie?

Maaßen: Gerade bei der politischen Linken und den Grünen erkenne ich den Wunsch, bestimmte Themen zu tabuisieren. Insbesondere trifft das auf Probleme mit der unkontrollierten Einwanderung zu. Auch Medien schlagen mit der rechten Keule immer wieder pauschal und inhaltsleer auf Leute ein, die Kritik am vermeintlichen Mainstream zu Migration, Sicherheit sowie Klima- und Energiepolitik äußern. Das soll aus meiner Sicht einschüchtern.

WELT AM SONNTAG: Sie haben behauptet, die „Neue Zürcher Zeitung“ sei „so etwas“ wie „Westfernsehen“. Zugleich werfen Sie den Redaktionen etablierter deutscher Medien „Inzucht“ vor. Wie groß ist Ihre Lust am Provozieren?

Maaßen: Wenn ich mich manchmal etwas überspitzt äußere, tue ich das, um eine Diskussion anzustoßen. Mit dem Ausdruck „Westfernsehen“, der mit Sicherheit überspitzt war, ist das gelungen. Im Ergebnis hat man gesehen, dass es zwei Lager gibt: Das eine hat mich hart attackiert. Das andere Lager – und das umfasst sehr viele – hat gemerkt, dass es mit seiner Wahrnehmung über eine selektive Berichterstattung deutscher Medien nicht alleingelassen wird. Jedenfalls gehört die „Nazikeule“ nicht zur Grundversorgung.

WELT AM SONNTAG: Uns erinnern Ihre Provokationen an das Motto Ihres Freundes, des Ex-BND-Präsidenten Gerhard Schindler. Das lautete „No risk, no fun“.

Maaßen: In gewisser Hinsicht trifft der Ausdruck zu. Während meiner Amtszeit als Verfassungsschutzpräsident habe ich meinen Mitarbeitern wieder und wieder gesagt, wir müssen gewisse Risiken eingehen, um unseren Auftrag zu erfüllen, aber wir müssen auch ein professionelles Risikomanagement betreiben.

WELT AM SONNTAG: Die unmittelbaren Reaktionen beim Medium Twitter haben schon viele vor Ihnen dazu verleitet, beim Provozieren über die Stränge zu schlagen.

Maaßen: Meine Tweets sind sorgfältig vorbereitet. Für mich ist ein Tweet so etwas wie eine Presseerklärung. Da sollte man schon zweimal darüber nachdenken, bevor man auf „Senden“ drückt. Das schließt aber nicht aus, dass der Inhalt durch die Kürze manchmal missverstanden werden kann. Das ist der Nachteil von Twitter. Bei manchen Reaktionen auf meine Tweets habe ich dagegen den Eindruck, dass völlig enthemmt polemisiert, beleidigt und gedroht wird.

WELT AM SONNTAG: Haben Sie schon Anzeigen wegen strafbarer Inhalte erstattet?

Maaßen: Nur wenn es notwendig ist. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

WELT AM SONNTAG: Auch Sie gehen sehr weit und haben jüngst erklärt:Ich bin vor dreißig Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen.Das ist doch schlichtweg eine herabwürdigende Verallgemeinerung, die keine Rücksicht auf konkrete Individuen nimmt.

Maaßen: Das Zitat hat eine Zeitung aus einer Rede, die ich in Baden-Württemberg gehalten hatte, herausgegriffen und verbreitet. Ich sage nicht, dass dieser Satz aus dem Zusammenhang gerissen worden ist. Aber damit habe ich zum Ausdruck gebracht, dass meine Beweggründe, 1978 in die Junge Union und dann in die CDU einzutreten, heute in meiner Partei nicht mehr umgesetzt werden. Keinesfalls habe ich mit der Bemerkung „1,8 Millionen Araber“ zum Ausdruck gebracht, dass ich arabischstämmige Menschen despektierlich ansehe oder rassistisch herabwürdige.
 Vielmehr habe ich mich auf die Einwanderungspolitik bezogen. Ich erinnere noch, wie die frühere Parteivorsitzende der CDU einmal im Bundestag gesagt hat: „Wir brauchen eine Begrenzung der Zuwanderung.“ Jetzt haben wir 1,8 Millionen Migranten mit einem nichteuropäischen Kulturhintergrund ungesteuert und mehrheitlich unkontrolliert ins Land gelassen, von denen circa 70 Prozent keine asylrelevante Bleibeperspektive haben. Wir haben die Türen aufgemacht für Hunderttausende Menschen ohne wirklichen Schutzgrund.

WELT AM SONNTAG: Halten Sie denn an Ihrem Satz fest?

Maaßen: Das habe ich Ihnen gerade begründet.

WELT AM SONNTAG: Würden Sie eigentlich ein Angebot annehmen, Innenminister von Sachsen zu werden?

Maaßen: Das ist eine rein theoretische Frage. Zunächst einmal ist entscheidend, dass die Union wieder stärkste Fraktion im Dresdner Landtag wird. Ich muss nicht in die Politik gehen, und ich muss nicht Minister werden. Mein Ziel ist es, dass wir in Deutschland wieder eine realistische und auf Werten basierende Politik haben und wir alle wieder gut und sicher in unserem Land leben können.

WELT AM SONNTAG: Tritt Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer für eine solche Politik eher ein als die Kanzlerin?

Maaßen: Ich habe das bisher leider so nicht erlebt. Ich wünsche mir, dass sich der sächsische Ministerpräsident von bestimmten politischen Positionen, die von der CDU auf Bundesebene propagiert werden, emanzipiert.

WELT AM SONNTAG: Die Werteunion fordert unter anderem, jene Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen, die zuvor in einem anderen EU-Land registriert wurden. Das widerspricht dem, was herrschende Meinung in der Union ist.

Maaßen: Im letzten Jahr gab es dazu zwischen CDU und CSU eine lebhafte Diskussion, die mit einem Kompromiss beendet worden ist. Dieser Kompromiss stellt viele Menschen in der Union und in Deutschland nicht zufrieden. Mich auch nicht. Ich finde, wir sollten diese sogenannten Dublin-Fälle zurückweisen.

WELT AM SONNTAG: Innenminister Horst Seehofer trägt den Kompromiss mit. Setzt er damit eine „Herrschaft des Unrechts“ fort, die er selbst angeprangert hatte?

Maaßen: Er hat mit großem Engagement versucht, die Ziele, die ich auch verfolge, durchzusetzen. Ich glaube, Minister Seehofer hätte lieber einen anderen Kompromiss gehabt. Ich würde ihn darin unterstützen, einen neuen Anlauf zu wagen, um zu „wirkungsgleichen“ Maßnahmen zu kommen.

WELT AM SONNTAG: Ihre Forderungen überschneiden sich zum Teil mit jenen der AfD. Eine Koalition schließen Sie derzeit aber aus.

Maaßen: Forderungen sind nicht automatisch deshalb falsch, weil sie von der falschen Partei vertreten werden. Der Fraktionsvorsitzende der AfD Gauland hatte seine Partei einmal als „gäriger Haufen“ beschrieben. Es gibt in dieser Partei durchaus besonnene Personen, dann aber auch radikale. Derzeit nimmt die Partei eine Entwicklung, von der ich nicht sagen kann, wohin es geht. Unter einem Herrn Höcke würde vermutlich eine weitere Radikalisierung drohen. Vielleicht wird die Partei aber moderater.

WELT AM SONNTAG: Mitglieder Ihrer Familie wurden nach Ihren Angaben von den Nationalsozialisten drangsaliert. Wie finden Sie es denn, wenn Parteichef Alexander Gauland den Nationalsozialismus als „historischen Vogelschiss“ bewertet?

Maaßen: Eine derartige Formulierung wird der Katastrophe Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte nicht gerecht. Wir Nachlebenden tragen auch heute Verantwortung für das, was damals passierte. Diese Aussage ist deshalb nicht akzeptabel.

WELT AM SONNTAG: Kann man die „Besonnenen“ denn in die Union zurückholen?

Maaßen: Ich habe jedenfalls die Hoffnung. Die Leute sind in den vergangenen Jahren wohl kaum ausgetreten, weil die Partei zu wenig gegen den Klimawandel unternimmt. Ich denke, sie haben der CDU den Rücken gekehrt, weil sie mehr Rechtsstaat, Freiheit und Sicherheit möchten.

WELT AM SONNTAG: Neben der AfD unterstützt kaum ein möglicher Koalitionspartner die politischen Forderungen der Werteunion.

Maaßen: In der CDU/CSU gibt es immer mehr, die auch offen hinter unseren Positionen stehen. Und dennoch: Nicht nur eine Koalition mit der AfD ist derzeit ausgeschlossen, sondern auch eine mit der SED, die sich heute Die Linke nennt, oder den Grünen. Ziel der CDU muss zunächst sein, deutlich stärkste Kraft zu werden. Dann sehen wir weiter.

WELT AM SONNTAG: Warum schließen Sie eine Koalition mit den Grünen aus?

Maaßen: Ich halte die Politik der Grünen in Teilen für realitätsfremd und gefährlich. In der Migrationspolitik würde sie dazu führen, dass die Türen noch weiter geöffnet werden und gar keine Abschiebungen mehr stattfinden. Die Grünen insgesamt betreiben in Teilen eine weltfremde bis esoterische Politik, die wenig mit den tatsächlichen Problemen der allermeisten Menschen in diesem Land zu tun hat. Diese machen sich zum Beispiel Sorgen, weil der einzige Supermarkt im Ort geschlossen wird, dass sie keine bezahlbare Wohnung mehr finden, sie haben Angst vor den Folgen der Migration und vor Kriminalität. Das sind Sorgen, die die Grünen verachten, nicht als Probleme wahrnehmen und schon gar nicht lösen.

 WELT AM SONNTAG: Die Union hat doch selbst Themen vernachlässigt, die die Menschen bewegen. Naturschutz oder Nachhaltigkeit zum Beispiel.

Maaßen: Der Politikansatz der Werteunion ist ein anderer als der jetzt herrschende. Viele betreiben heute eine Marketingpolitik: Man schaut, mit welchen Themen man eine Wahl gewinnen kann. Das ist das Gegenstück zu einer wertegebundenen Politik. Ich werbe dafür, dass die CDU zu ihren Grundsätzen steht und nicht Umfragen und Medienschlagzeilen hinterherläuft. Ich denke nicht, dass das Thema Klima die Menschen derart besorgt, wie gerade überall erklärt wird. Wir sollten unseren Kindern nicht mit der Klima-Hölle drohen, wenn sie den Müll nicht trennen, sondern vernünftige Lösungen suchen. Gleichzeitig halte ich den Umweltschutz für sehr wichtig: Konservativ heißt auch, die Umwelt zu schützen und Vorsorge für nachfolgende Generationen zu treffen.

WELT AM SONNTAG: Wenn Sie derart unzufrieden mit der CDU sind – wie haben Sie es so lange als Verfassungsschutzchef ausgehalten und sind nicht zurückgetreten?

Maaßen: Flucht war für mich noch nie eine Option. Ich war sehr gerne Verfassungsschutzpräsident.

Kommentare:

Kompliment, Hans-Georg Maassen; ich wünschte mir Politiker mit einem derart klaren, eindeutigen Duktus, statt inhaltsloser, aalglatter Systemrhetorik.
Hans-Wolff Graf


M.W.
Herr Maaßen: allerhöchsten Respekt, Sie wären der Richtige für unser unruhiges Land!!!

Bärbel S.
Von Seiten der Welt ein respektloseses Interview. Ich denke besonders an die Frage: „Nehmen Sie sich zu wichtig?“ Da wird in der Welt jede 16jährige mit mehr Respekt befragt.

Martin L.
Solche harten Fragen hätte ich mir gegenüber den Grünen gewünscht. Vergeblich, denn wo die meisten Journalisten heute politisch stehen, wird leider überdeutlich.

Andreas RR W.
Und dann sagt unsere nichtsahnende Umweltministerin, sie ist von Greta inspiriert. Politiker, die die Zukunft unseres Landes gestalten sollen, benötigen eine 16-jährige als Inspiration. Unser Problem ist größer, als wir alle denken.

Ines W.
Die Positionen, die Herr Maaßen in diesem guten Interview so geradlinig vertritt, können weder von Frau Merkel, noch von Frau A. Kramp-Karrenbauer authentisch übernommen/dargestellt werden.