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Staatsrechtler Rupert Scholz – Asylrecht nicht länger hinnehmbar

Dieses deutsche Asylrecht ist nicht länger hinnehmbar

Von Rupert Scholz | Stand: 26.02.2018 

Kein Land Europas hat in der Asylpolitik so großzügige Gesetze wie die Bundesrepublik Deutschland. In der Praxis führt das zu unhaltbaren Zuständen. Dabei gab es vor 25 Jahren schon einmal eine Lösung. Fast.

Das Desaster der amtlichen Flüchtlings- oder Migrationspolitik wächst weiter von Tag zu Tag, ohne dass eine Lösung in Sicht wäre. Rund 1,5 Millionen Asylsuchende befinden sich in Deutschland, davon sind viele Tausende schlicht abgetaucht. Rund 400.000 Klagen liegen vor den Verwaltungsgerichten.

Es wird Jahre brauchen, wie die amtlichen Vertreter unserer Verwaltungsgerichtsbarkeit immer wieder klagend hervorheben, um diese Flut von Klagen abzuarbeiten. Abschiebungen finden praktisch nicht statt. Alles dies muss endlich und wirklich angegangen werden, sollen die wirtschaftlichen, finanziellen, integrationspolitischen und kulturellen Lasten nicht in ein unabwendbares Extrem anwachsen.

Leider leistet der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hierzu nur wenig. Unter dem Stichwort „Zuwanderung steuern – Integration fordern und unterstützen“ soll die Flüchtlingspolitik Begrenzungen der Zuwanderung anerkennen („Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000“) und soll der Familiennachzug für sekundär Aufnahmeberechtigte auf monatlich 1000 zuzüglich Härtefälle begrenzt werden.

Die Zahl von 180.000 bis 220.000 wird allerdings nicht als (verbindliche) Obergrenze verstanden. So hat der Verhandlungschef der SPD, Martin Schulz, schon nach den Sondierungsgesprächen – unwidersprochen! – ausgeführt, es könnten genauso 240.000, 260.000 etc. werden.

Begrenzte Kräfte des Staates

Alles dies offenbart die nach wie vor bestehende hohe Rechtsunsicherheit, obwohl die Einführung von Obergrenzen nach Maßgabe der verfügbaren wirtschaftlichen, finanziellen und kulturellen Kapazitäten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchaus verfassungsmäßig wäre.

In aller Deutlichkeit hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass „der Gesetzgeber darauf reagieren darf, dass Asyl nicht nur massenhaft beantragt, sondern weithin auch ungerechtfertigt zum asylfremden Zweck der Einwanderung begehrt wird. Er darf deshalb verfahrenswirksame Vorkehrungen dafür treffen, dass der Staat mit den ihm – zwangsläufig nicht uneingeschränkt – zu Gebote stehenden Kräften die starke Inanspruchnahme des Asylrechts zeitgerecht bewältigen kann.“

Nach Artikel 16a des Grundgesetzes – schon geltender Fassung nach – darf niemand in Deutschland Asyl fordern oder beantragen, der aus einem anderen EU-Staat oder aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland gelangt ist. Das Gleiche ergibt sich aus dem Europarecht, das heißt aus den Regelungen von Dublin. Beide Regelungen sind seit Herbst 2015 von Deutschland jedoch missachtet worden, vor allem über die total haltlose und verfassungswidrige Grenzöffnung.

Stattdessen wird von deutscher Seite immer wieder eine europäische Lösung eingefordert, wird von den anderen EU-Mitgliedstaaten gefordert, dass sie bestimmte Flüchtlingsquoten übernehmen und Deutschland damit entlasten. Bekanntlich ist jedoch kein Mitgliedstaat der EU hierzu bereit. Der deutsche Appell an die „europäische Solidarität“ greift buchstäblich ins Leere.

Von den anderen Mitgliedstaaten der EU wird umgekehrt Deutschland europarechtswidriges Verhalten vorgehalten, weil die seinerzeitige deutsche Grenzöffnung mit keinem anderen Mitgliedstaat der EU beziehungsweise mit der Europäischen Kommission abgestimmt war.

Dieser Einwand eines europapolitisch zumindest unfreundlichen Akts vonseiten Deutschlands ist durchaus begründet. Ebenso begründet ist die Verweigerung jener EU-Mitgliedstaaten, ihrerseits Flüchtlingsquoten aufzunehmen, weil das geltende europäische Unionsrecht keine Regelung enthält, die die einzelnen Mitgliedstaaten zu solchen Flüchtlingsaufnahmen verpflichten könnte.

Eine Lösung der hiesigen Probleme kann also nur in Deutschland respektive von Deutschland selbst gefunden werden. Eine solche Lösung muss beim verfassungsrechtlichen Asylrechtsartikel des Art. 16a GG selbst gesucht werden – entweder in der Richtung wie vom Bundesverfassungsgericht angedeutet oder in ganz anderer, wirklich grundlegender Form.

Letzteres bedeutet, dass es einer Verfassungsänderung bedarf, die das subjektiv-rechtliche, also stets einklagbare Asylgrundrecht in ein objektiv-rechtliches, also institutionelles Prinzip umändert. Dass das Asylrecht im Jahre 1949 mit der Gründung der Bundesrepublik zunächst als subjektives, also einklagbares Grundrecht in das Grundgesetz aufgenommen wurde, geschah ganz im Gegensatz zu den meisten anderen beziehungsweise vergleichbaren nationalen Rechtsordnungen wie etwa Frankreich, Niederlande, Italien, Spanien.

Nicht länger hinnehmbar

Alle diese Länder gewährleisten das Asylrecht nicht in subjektiv-rechtlicher, sondern ausschließlich in objektiv-rechtlicher Form, das heißt, politisch Verfolgten wird zwar Asyl gewährt. Dies geschieht aber nur und strikt nach Maßgabe der einfachen Gesetzgebung und vor allem ohne eine unmittelbar-subjektive Klagebefugnis gegen abschlägige Asylrechtsentscheidungen.

Die entgegengesetzte Rechtslage in Deutschland wird heute hunderttausendfach missbraucht. Wenn ein Asylbewerber mangels politischer Verfolgung abgelehnt wird, so pflegt er zunehmend die Verwaltungsgerichte anzurufen, um dort entweder doch Asyl zu erhalten oder – zumindest – über jahrelange Verfahren im Ergebnis als „geduldeter“ Flüchtling doch in Deutschland bleiben zu können.

Dies ist nicht mehr länger hinnehmbar. Die Lösung kann also nur bei einer Verfassungsänderung liegen, die an die Stelle des subjektiven Rechts „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Art. 16a Abs. 1 GG) eine objektiv-rechtliche Regelung setzt, wie sie beispielsweise schon in der Reformdebatte über das Asylrecht 1993 diskutiert worden ist.

Als Vorbild kann die damals vom Freistaat Bayern eingebrachte Formulierung gelten, derzufolge es heißt: „Politisch Verfolgten wird nach Maßgabe der Gesetze Asyl gewährt“ (Bundesratsdrucksache 175/90).

Dies wäre eine Regelung, die der anderer europäischer Staaten entspricht und die als institutionelle Garantie das Asylrecht nicht als solches in Frage stellte, sondern dies lediglich von den vorgenannten Problemschlacken befreite. Der Gesetzgeber erhielte nämlich das Recht, die maßgebenden Regelungen zu treffen – bis hin zu einem Einwanderungsgesetz, für das in der Tat viele Gründe sprechen.

Ein solches Gesetz wäre dann in der Lage, das Asylrecht von allen anderen Zuwanderungsproblemen wirksam zu unterscheiden und damit auch die Grundlage für eine sinnvolle und wirtschaftlich weiterführende Integration wie Zuwanderung zu gewährleisten – einschließlich klarer Zuwanderungsbegrenzungen.

Eine solche institutionelle, objektiv-rechtliche Gewährleistung des Asylrechts würde vor allem auch jenen Missbrauch beenden, der in den heutigen Klagemöglichkeiten auf der Grundlage des rein subjektiv-rechtlich verfassten Asylrechts besteht.

Wenn Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber die Verwaltungsgerichtsbarkeit fluten, in der Konsequenz sogar das Bundesverfassungsgericht von Hunderttausenden per Verfassungsbeschwerde angerufen werden könnte, steht unser justizieller Rechtsstaat buchstäblich vor dem Kollaps. Auch dies gilt es zu bedenken.

Tausendfacher Missbrauch

Auch dem ist rasch zu begegnen, und eine entsprechend objektiv-rechtlich verfasste, also institutionelle Garantie des Asylrechts im vorgenannten Sinne könnte rechtsschutzmäßig eine einfache Beschwerdemöglichkeit gewähren und den Rechtsweg im Übrigen ausschließen.

Solche Beschwerdemöglichkeiten sollten im Schnellverfahren schon in grenznahen Einrichtungen durchgeführt werden, um Abschiebungen besser zu ermöglichen und vor allem das Abtauchen in Deutschland zu verhindern. Das Gleiche muss schon für die Asylanträge gelten.

Ganz in diese Richtung weisen im Übrigen zurzeit Reformüberlegungen in Frankreich hin – einem Land, das bekanntlich vor ganz ähnlichen Flüchtlingsproblemen steht, wenngleich nicht in dem Ausmaß wie Deutschland seit 2015.

Dass solche rechtsschutzmäßigen Einschränkungen auch mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sind, hat das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz ebenso schon früher bestätigt. Mit alledem wäre ebenso den Effizienzanforderungen an einen funktionierenden Rechtsstaat entsprochen wie dem beschriebenen hunderttausendfachen Rechtsmissbrauch wirksam begegnet.

Zugleich wären damit die Voraussetzungen für eine europäische Lösung des Asylrechts geschaffen – eine Lösung, die die Bundesregierung permanent einfordert, ohne dass von deutscher Seite hierfür die nötigen Voraussetzungen bisher geschaffen worden wären. Weder das Völkerrecht noch das europäische Unionsrecht (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67, 78 AEUV und Art. 18 GrCh) fordern ein subjektiv-rechtlich verfasstes Asylrecht.

Wenn Deutschland aber auf einer solchen subjektiv-rechtlich verfassten Asylrechtsgarantie beharren sollte, so wird es auch keine europäische Lösung geben. Auch dies sollten die politisch Verantwortlichen bedenken und in ihre Überlegungen aufnehmen.

Last but not least: Mit einer solchen objektiv-rechtlichen Regelung würden sich auch alle ebenso überflüssigen wie unsinnigen Diskussionen über angeblich inexistente Obergrenzen oder Ähnliches erledigen.

Die immer wieder amtlich erhobene These, dass das subjektive Recht auf Asyl angeblich keine Obergrenze oder Ähnliches erlaube, wäre endgültig als das entlarvt, was es von Anfang an gewesen ist: nämlich schlichte Rechtsunkenntnis oder gar gewillkürte Hilflosigkeit.