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Die Mär vom gestutzten Staat

Der Mensch hat die Oberfläche seines Planeten in Staaten unterteilt. Diese Gebilde läßt er alle Entscheidungen über sich und sein Umfeld treffen. Daran hält er unverbrüchlich fest. Als sei dies natur- oder gottgegeben. Die Staaten selbst verleihen sich Ewigkeitsgarantie.

Mehr und mehr indessen wird offenbar, daß die Staaten Schaden anrichten. Immer häufiger wird gefordert, ihnen die Flügel zu stutzen, ihre Machtvollkommenheit zu begrenzen. Die Forderung nach „weniger Staat“ bewegt seit Leopold Kohr zunehmend die Gemüter.

In Wahrheit jedoch ist es so, daß die Probleme der modernen Menschheit sämtlich von der Existenz der Staaten ausgehen. Die Staaten sind nicht die Lösung der Probleme, sie sind das Problem (R. Reagan). Das erzwingt, dem Gedanken näherzutreten, die verhängnisträchtigen Institutionen aufzulösen. Doch das übersteigt die Vorstellungskraft selbst der Elite der Gattung Mensch.

Das hinwiederum wirft die Frage auf, ob die halbe Sache, die der Realitätssinn vermeintlich diktiert, Heilung verspricht, ob mit gelichteten Staaten die Menschheit wirklich ihrer Probleme ledig wäre oder ihrer Herr würde.

Viele setzen auf die Vervollkommnung der Demokratie. In den Staaten freilich ist die unmittelbare Beteiligung an der Macht den Bürgern aufgrund ihrer Anzahl nicht möglich. Wunsch und Wille des Einzelnen lassen sich durchgehend nur über Zwischenträger vermitteln.

An der repräsentativen Demokratie wird beanstandet, daß die Mehrheit der Wahlbürger gemeinhin die Tragweite der zu treffenden Entscheidungen nicht ermißt. Demzufolge werden nicht durchgehend Vertreter in die Parlamente geschickt, die das mögliche Urteilsdefizit ausgleichen. Dadurch kommt es in der mittelbaren Demokratie oft zu wenig oder zu nicht sachgerechten Entscheidungen.

Besserung wird von einer Vermehrung der Volksbefragungen erhofft. Diese erbringen in der Tat zumeist überraschend kluge politische Ergebnisse. Das mag daran liegen, daß sich an ihnen überwiegend Bürger beteiligen, die sich kundig gemacht haben. Bedauerlicherweise jedoch erfordern Plebiszite einen ziemlichen Aufwand. Das schränkt die Möglichkeit, sie vor jeder wichtigen Entscheidung abzuhalten, entschieden ein.

Bemängelt wird sodann die Entkernung der Gewaltenteilung. Ernst genommen (aber nirgends so beschrieben) verlangt sie, daß das Parlament sagt, was getan werden soll. Die Regierung mit angeschlossener Verwaltung setzt in die Tat um, was ihm aufgetragen worden ist. Die ordnungsgemäße Ausführung kontrolliert wiederum das Parlament. Von beiden Gewalten unabhängige Gerichte schlichten Streitfragen und urteilen Verfehlungen ab.

In den modernen Demokratien demgegenüber spielen politische Parteien die entscheidende Rolle. Deren stärkste hat uneingeschränkt das Sagen. Die Gewaltenteilung ist reduziert auf Koalition und Opposition, wobei allerdings die Opposition über keine reale Macht verfügt. Sie kann Entscheidungen der Regierung nicht zu Fall bringen. Sie kann nur wettern und hoffen, beim nächsten Wahlgang vorn zu liegen.

Selbst in der dritten Gewalt werden die maßgebenden Stellen durch die politischen Parteien besetzt. Und das Recht, das die Gerichte anzuwenden haben, entwächst der Parteiideologie.

Da ist viel Lug und Trug im Spiel, woran viele Anstoß nehmen. Doch so bedenklich das ist, an dieser Gegebenheit dürften nennenswerte Veränderungen kaum vorzunehmen sein.

Ohnehin müssen, wollte man das verhängnisvolle Wirken der Staaten einschränken, deren Aufgaben beschnitten werden.

Dazu wurde der Föderalismus erfunden:   [….]